Kaum ein anderes Stuttgarter Bauwerk ist mittlerweile deutschlandweit so bekannt wie der Hauptbahnhof. Rund 100 Jahre nachdem der Verkehrsknoten (teilweise) fertiggestellt war, wurde der Hauptbahnhof erneut zur Großbaustelle. Grund hierfür ist das Bahnprojekt „Stuttgart 21“, das den Stuttgarter Hauptbahnhof „unter die Erde“ bringen wird, sprich zu einem Tiefbahnhof werden lässt. Doch werfen wir zunächst einen Blick in die Vergangenheit dieser „Eisenbahnkathedrale“.
Der erste Stuttgarter „Centralbahnhof“ stand in der heutigen Bolzstraße, ganz in der Nähe des Schlossplatzes. Nach seiner Fertigstellung 1846 erfreute sich der Bahnhof rasch wachsender Beliebtheit: Bereits 1867 erweiterten die Königlichen Württembergischen Staats-Eisenbahnen die Anlage, doch der Fortschritt holte selbst die kühnsten Erwartungen der Planer ein. Um 1900 war auch dieser Bahnhof zu klein für den starken Bahnverkehr geworden.
Den Gestaltungswettbewerb für den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof (HBF) gewann im Jahr 1910 das Architektenteam Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer. Ihr Vorschlag „umbilicus sueviae“ (lateinisch für „Nabel Schwabens“) sah eine langgezogene Fassade vor, die mit Säulen versehen und aus grob behauenem, beige-grauem Muschelkalkstein gearbeitet sein sollte. Auch ein gut sichtbarer Turm war Teil des Plans gewesen.
Die Arbeiten begannen im Jahr 1914 und wurden 1917 kriegsgedingt eingestellt. Der erste Bauabschnitt – die Gleise 9 bis 16 – inklusive Turm konnte am 21. Oktober 1922 seiner Bestimmung übergeben werden. Viel hatte sich seit Baubeginn geändert: Der Erste Weltkrieg war beendet, die Monarchie war auch in Württemberg Geschichte und die einzelnen Landesbahnen waren mittlerweile zu einer einzigen Staatsbahn, zur Deutschen Reichsbahn Gesellschaft (DRG) zusammengeschlossen. Es dauerte noch bis 1927, bis der neue HBF mit allen Gleisen und Anlagen fertiggestellt war. Der alte „Centralbahnhof“ wurde nach 1922 zu einem Kino umgebaut und ist es bis heute mit kurzer Unterbrechung geblieben.
Wie der alte „Centralbahnhof“ ist auch der neue HBF ein Kopfbahnhof. Züge fahren ein und müssen den Bahnhof aus derselben Richtung wieder verlassen. Für die Fahrgäste bot der Hauptbahnhof bereits in den 1920er Jahren einige Annehmlichkeiten, beispielsweise ein Postamt, eine Expressgutladestelle im Südflügel, ein Hotel sowie mehrere Restaurants und Cafés im Turm.
Der „Mercedes-Stern“ dreht sich seit 1952 auf dem Bahnhofsturm. Mit den Einnahmen aus dem Vermieten des prominenten Ortes wollte die Bundesbahn den Wiederaufbau finanzieren. 1972 wurde der Werbestern des bedeutenden Stuttgarter Automobilunternehmens erneuert – der fünf Meter große Stern dreht sich seitdem mit zwei Umdrehungen pro Minute in 56 Metern Höhe.
In einem Stellwerk kümmern sich Fahrdienstleiter, Weichenwärter, Zugleiter und Zugmelder darum, den Zugverkehr zu regeln. Sie sorgen dafür, dass der Fahrplan eingehalten wird, indem sie Signale und Weichen steuern. Für die Steuerung der 16 Gleise des Stuttgarter Hauptbahnhofs standen ab den 1920er Jahren gleich mehrere Stellwerke zur Verfügung. Diese standen unter anderem direkt über den Gleisen (sogenannte Reiterstellwerke).
1977 wurde am südlichen Rand des Hauptbahnhofs das neue Zentralstellwerk (Sf) seiner Bestimmung übergeben. Es ersetzte einen Großteil der alten. Im Bedienraum des modernen Zentralstellwerks werden Signale und Weichen elektronisch per Knopfdruck gestellt. Auch Wolfgang Frey, der zuletzt als Fahrdienstleiter arbeitete, saß hier an einen sogenannten Nummernstellpult und beobachtete die Panoramatafel.
Die 1990er Jahre brachten erneute tiefreichende Veränderungen für den Hauptbahnhof. 1991 rollten die ersten ICE-Hochgeschwindigkeitszüge in den ehrwürdigen Bahnhof ein. Einige Jahre später begannen die Planungen für das Projekt „Stuttgart 21“ (S 21): Aus dem Kopfbahnhof soll ein Tiefbahnhof werden, durch den Züge fahren können, ohne umzudrehen. 2010 begannen die Bauarbeiten: Die Seitenflügel des historischen Bahnhofs wurden abgerissen, Teile des Schlossgartens gerodet, 55 Kilometer Anschlusstunnel gegraben, die Stadtbahn teilweise verlegt und vieles mehr.
Das Projekt hatte Unterstützer in Politik und Wirtschaft, traf aber zugleich auch auf scharfe Ablehnung: Über Jahre wurde gegen S21 protestiert, ein Polizeieinsatz gegen Demonstranten mit hunderten Verletzten am 30. September 2010 brachte die Bauarbeiten deutschlandweit in die Medien. In einer Volksabstimmung Ende 2011 entschied sich eine Mehrheit (58,9 %) in Baden-Württemberg für den Weiterbau.
Die Kosten werden aktuell auf 11,5 Milliarden Euro (Stand: Anfang 2025) geschätzt, die Übergabe des Tiefbahnhofs ist für 2026 geplant. Statt 16 soll es nur noch acht Gleise geben; alle oberirdischen Gleisanlagen sollen abgebaut werden und ein neuer Stadtteil, das Rosensteinquartier, soll auf den Flächen entstehen.
Die beliebte Fernsehsendung „Eisenbahn Romantik“ widmete dem runden Geburtstag des Stuttgarter Hauptbahnhofs einen Videobeitrag. Dabei waren die Macher unter anderem in den Miniaturwelten Stuttgart zu Besuch.
Literatur & Links
Michael Dostal/Thomas Estler: Stuttgart Hauptbahnhof – Geschichte eines Bahnhofs, München 2012
Wolfgang Ernst: Sicherheit vor allem, in: Bundesbahndirektion Stuttgart (Hg.): 65 Jahre Stuttgarter Hauptbahnhof 1922 – 1987 (= Erinnerungen an die Schwäbische Eisenbahn, Bd. 3), Stuttgart 1987, S. 117-120
Otto Nübel: Der Bahnhofsstern – ein Wahrzeichen, in: ebd., S. 148-150
Andreas M. Räntzsch: Stuttgart und seine Eisenbahn, Heidenheim 1987 [Kapitel: „Das Zentralstellwerk des Stuttgarter Hauptbahnhofs, S. 388-391]
Matthias Roser: Der Stuttgarter Hauptbahnhof – Vom Kulturdenkmal zum Abrisskandidaten? Stuttgart 2008
Kurt Seidel: 65 Jahre Stuttgarter Hauptbahnhof 1922 bis 1987. Herausgegeben von der Bundesbahndirektion Stuttgart, Stuttgart 1987
Zentralstellwerk Stuttgart – Eintrag in der Datenbank stellwerke.info
Wir danken dem Bildarchiv der Eisenbahnstiftung für die freundliche Überlassung einiger historischer Fotografien.